ERLkönig

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Archiv für November, 2005

Budapest 11.11.2005

Sehr spaet erst finden wir heute aus den Federn, und zum Fruehstuck gibt es Kornflakes sowie 2 Taesschen Unikum fuer jeden. So sollte jeder Tag beginnen, denken wir, als wir 4 Metrostationen weit fahren, um in einem alles bevorratenden Monster Supermarkt namens TESCO ein wenig einzukaufen. 2 Riesensteak (kg = 6 EU), eine Flasche Stierblut (ROTEN) tun es uns besonders an, und wir fahren zurueck in Lukis Studentenbude, um zwei intergalaktische Riesenrumpsteaks nach „Juttis schwaebischer Zwiebelroschtbraten-Art“ mit Stierblut herunterzuspülen. DER Hoehepunkt des Tages.

Luki laesst es sich nicht nehmen, und begleitet mich die fast anderhalbstuendige Fahrt mit Metro und Bus zum Airport, noch ein letztes Glas Wein, und ich verlasse ihn durch die Passkontrolle.

Herzlichen Dank, lieber Luki, fuer diese 6 wunderschoenen und erlebnisreichen Tage! Du warst ein grossartiger, unterhaltsamer und stressfreier Fremdenfuehrer, Gastgeber, Koffertraeger, Wegbegleiter und ein wahrer Freund!
Diese Tage mit Dir haben Budapest fuer mich zum unvergesslichen Erlebnis werden lassen! Danke!

Budapest 10.11.2005

Nach Muesli und Schnellrasur trennen sich unsere Wege an der Metro, und ich werfe mich zum ersten Mal allein und ohne meinen umsichtigen und freundlichen Fremdenfuehrer ins Getuemmel dieser tosenden Stadt, schau mir die historische Markthalle an – die Hoelle fuer jeden ueberzeugten Vegetarier!!! -, schlendere eine Nobel-Einkaufsstrasse hinunter, nehme statt Touristenmenue eine Portion junkfood beim Burg-Koenig ein und finde mein vertrautes Hotel wieder, in dessen Foyer ich ueber den InternetPC herfalle, um diesen Bericht abzusetzen.

Abends treffen wir uns mit Toby und seiner Freundin im WASABI, einem auf der anderen Seite Budapests liegenden Sushi-Lokal. Wie im Sushi-Circle in Frankfurt laufen hier die Haeppchen auf einem Band an einem vorbei, hier aber zweistoeckig: oben warm, unten kalt. Flat-Rate ist angesagt: 17,- EU für „all you can eat“. Also hauen wir rein!
Leider laesst die Vielfalt sehr zu wuenschen uebrig, und der uns eh schon sehr flapsig aber ebenso unerfahren vorkommende Jungkellner versucht mir weiss zu machen, dass Tunfisch das Teil ist, dessen Belag aussieht wie ein Stueck Schuhsohle des Kuechenchefs. Ich wende mich an einen Kellnerkollegen, sage ihm, dass ich mit 3 Gaesten seit zwei Stunden auf Thunfisch warte, und innerhalb 8,5 Minuten erscheint unser Rotzbengel, knallt einen Teller mit 16 Thunfisch-Sushis auf den Tisch, zischt verachtend „Thuna!!!“ und verlaesst uns, bevor ich ihm Paroli bieten kann.

Aber manchmal raechen sich kleine Dinge sofort: als es ums Bezahlen geht, hat offensichtlich nur ein anderer Kellner die Inkasso-Befugnis und verlangt lediglich 2 statt 4mal die FlateRate. Die bezahlen wir gern und verlassen unter Absingen schmutziger Schimpflieder diese unwirtliche Staette …

Die kommende Nacht koennen wir nur auf dem Ruecken liegend schlafen, denn der Thunfisch schwimmt im Bauch in der Lache von zwei Unikums, die Lukis Flasche zu Hause als Betthupferl noch hergab …

Budapest 09.11.2005

Same procedure as every morning: McDoof Kaeffchen mit 2 EggMuffins, kleine Matschbroetchen, in denen sich eine Scheibe Bacon, eine Scheibe Fluessigkaese mit einem Spiegelei, das beim Braten in einer Form auf das Aussenmass besagten Matschbroetchens exakt reduziert wird, eng verbinden. Retortenfressen in Reinform. Alle Zutaten garantiert ohne Liebe hergestellt, sondern nur mit dem Dollarzeichen in der Pupille.

Noch zwei bis drei Generationen, und kein Mensch kann mehr kochen. Schon heute weiss jedes dritte Kind nicht mehr, dass Pommes aus Kartoffeln hergestellt sind. Ganz so, wie ich in meiner Kindheit annahm, Nudeln wuerden an Bauemen wachsen …

Mein Blick schweift wieder nach draussen, waehrend ich den heissen Pappbecher zum Mund fuehre, und mit der Hintergrundmusik scheint es, dass grad ein Film ueber die Leinwand flimmert:

„Budapest, die Erste!……. Klappe! ……. Und Aektschoooon!“ Aus dem Stand heraus bewegen sich (nach Ampelgruenschaltung) alle Autos und Strassenbahnen in die eine Richtung und tausende vom Komparsen eilen ueber den Zebrastreifen. Die McDoof Musik laueft voellig synchron! Ich glaube, Zeitlupe eingestellt zu haben … Es muss ein Film sein, oder ich bin voellig bekifft …! …………. Und ………….CUT!

Kameraschwenk auf den Eingang, denn die Musik tritt langsam in den Hintergrund, und das Klacken von Stilettos bricht sich mehrfach in diesem wahrhaftigen Fresstempel mit seiner bahnhofshohen Decke und seinen grossflaechigen Marmorwaenden.
Eine kleine, zierliche Schwarze betritt das Set an der Seite eines kleinen, breitschultrigen Kahlkoepfigen, der auch den letzten Zweifel darueber ausrauemt, das der Mensch vom Affen abstammt: vorgesetzte Knochenwuelste dort, wo andere ihre Augenbrauen zu tragen pflegen, stechender Bananenblick, ein Mund, der es ihm erlaubt, die gelbe Frucht quer und ungeschaelt zu vereinnahmen. Dort, wo Klein-Gordzilla in der Warteschlange einen Schritt nach vorne macht, da macht sein mit riesenhuebschen Riesenmoeppsen bewaffnetes Frauchen – die ich Anna nenne, Anna Bolika – drei kleine klack-klack-klack Trippelschrittchen in ihren weiss Gott nicht urwaldgeeigneten Lackstiefelchen.

Bevor Gordzilla sich an den Trog setzt, an den er mit raumgreifenden Schritten in hochgeschnuerten Springerstiefeln schreitet, entledigt er sich seiner Jacke. Dabei mueht er sich so ab, um aus dem Blouson zu kommen, dass ich denke, jetzt zerreisst er auch noch das schoene Stueck, weil es an den Ausmassen seiner Muskelpakete einfach haengen bleibt. Dann zeigt er mir seinen prachtvollen, keilfoermigen Koerper in seiner vollen, gedrungenen Groesse und eng anliegender T-shirt-Verpackung, seinen verfetteten Stiernacken, der etwas an die Grazie eines nackten Betonpfeilers erinnert, setzt sich dann tatsaechlich in einer Art auf seinen Plastikstuhl, als ob er seinen Stammast im Affenbrotbaum in Beschlag nimmt, laesst die Pranken zunaechst etwas entspannt herabhaengen, als seien sie zu schwer, um dann schliesslich die allzubekannte McDoof Grundhaltung einzunehmen: Unterarme halb an und halb auf Tischkante, Futter mit beiden Klauen greifen und …. einfuehren! Ob dieses langwierigen Vorspiels hat Anna ihr Schlemmermenue bereits schon fast vollends verdaut, rueckt mit laszivem Blick ihr unterhalb Brustwarzenlevel letztes Knoepfchen zurecht und laechelt Gordzilla vielsagend zu …

„Schoener Film gewesen!“ denke ich noch beim Hinausgehen und vermisse den geistigen Austausch mit jemandem ueber Intention, Dramaturgie und Kamerafuehrung dieses Werkes 🙂

Ortswechsel: im 300 m entfernten Hotel packe ich meine sieben Sachen, denn die zwei letzten Naechte werde ich bei Luki schlafen.

Wie verabredet, holt mich Luki gegen Mittag vom Hotel ab, und wir fahren mit S-, U- und wieder S-Bahn in sein ca. 30qm Einzimmer-Appartment, das zu meiner Ueberraschung neu, sauber und aufgeraeumt ist, spartanisch zwar in der Ausstattung, aber hell und modern in einem Neubau, der noch nicht ganz verkauft bzw. vermietet zu sein scheint.

Pack die Badehose ein, und ab, ins Gellert-Bad: ein wunderschöner Prachtbau aus alten Zeiten, Jugendstil innen und aussen, aber der Zahn der Zeit hat seine Spuren hinterlassen. Innen ist es schlichtweg heruntergekommen. Es zeigt sich zwar eine traumhafte Substanz, die ersten, heftigen Verfallserscheinungen aber lassen das Gesamte in einem ausnahmslos unhygienischen Licht erscheinen.
Im Maennerbad laufen die ueberwiegend recht greisen Senioren im anstaltseigenen Lendenschurz umher (mein Gott, was das Alter aus einem Koerper machen kann …!), der hinten den Allerwertesten unbedeckt laesst. Dieser weisse Penis-Schlabberlatz sieht einfach lachhaft aus! Luki bekommt die erste Massage seines Lebens verpasst (ca. 8,- EU für eine halbe Stunde), mein Masseur bearbeitet mich hart und hektisch. Kein grosser Genuss fuer mich, Luki aber kommt strahlend und regeneriert aus der Kabine!
Wir planschen noch ein wenig im 38 Grad Becken und verlassen diese bazillen- und pilzgeschwaengerte Staette des eingeschraenkten Badespasses schon recht bald.
Erst in der Strassenbahn berichte ich Luki ueber eine Begegnung im Bad, welche die Hirn-auf-Teller-Story vom ersten Abend zu toppen scheint:
Als Luki zu seiner Massage abberufen wurde, musste ich noch ein wenig auf meinen Folterknecht warten. Da watschelt an mir ein Mann mit den Ausmassen einer wahrhaftigen Mastsau vorbei – jeder Schritt in seinen Badeschlappen verursachte ein monströses Platsch! -, seine Badehose war von vorn nicht erkennbar, weil vom Leibesfett verschluckt, der Kopf ging halslos in einen urgewaltigen Torso ueber, der nach unten hin immer ausladender wurde. Platsch, platsch, platsch!
Aber waere es allein der Fettanteil am Koerper gewesen, haette ich mir nicht ueberlegt, das Bad – noch in Badehose – auf der Stelle zu verlassen. Nein, das Ekelerregende an sich war das, was der Mann auf seiner nassen Haut mit sich umhertrug und zur Schau stellte: von der Haarwurzel bis zum Zehnagel war er befallen von einer fleckenrot leuchtenden Exzemart, Schuppenflechte, hautkrebsartigen Wucherung, ich weiss es nicht, was es war, aber gesund sah dies auf keinen Fall aus! Mahlzeit! Automatisch fing ich an, an mir selbst herumzukratzen …
Lukis Gesichtsfarbe hatte sich wieder normalisiert, als wir von der Tram springen und er mich durch die Menschenmassen, Strassen und Gassen zielsicher zu einer non-mainstream Pinte fuehrt, in der wir es uns gut gehen lassen. Jeder dritte ohne Partner, aber mit Laptop (Apple!) im WirelessLanLokal sich ueber ein Chatportal mit irgendwelchen Menschen in der Welt unterhaltend. Welch verrueckte Welt!
Nach einem letzten Absacker in einer grafittiverschmierten, voellig abgefuckten Hinterhof-Punker-Pinte fallen wir erschoepft ins Bett, nachdem wir zuvor noch in einem 2-stuendigen – leider ergebnislosen – Verzweiflungsakt Lukis Referat „Socken & Strümpfe – Konsumverhalten im Laendervergleich Deutschland / Ungarn“ – über Windows-Word zu formatieren versuchen … Scheiss-Windows! Windows is not the answer. It’s the question. The answer is NO!

Budapest 08.11.2005

Zum Fruehstueck wieder McDoof. Budapest ist ueberhaupt DIE Stadt der amerikanischen Fressketten. McDonald, KFC, Burger King und wie sie alle heissen, keine der quirligen, geschaeftigen Hauptstrassen ist mehr frei davon. Nirgendwo auf der Welt habe ich so viele McDonalds an einem Ort, in einer Strasse nur gesehen. Fuer Einheimische muss dieser Schnellfrass noch immer teuer genug sein, denn viel ist nicht los in den modernen Tempelbauten der CholesterinJunkies. Verglichen aber mit den deutschen Preistafeln kostet hier die Plattfrikadelle im Salatmatschbroetchen weniger als die Haelfte.

Bei einem heissen Kaffee mit zwei EggBaconBurgern beobachte ich den regen 09:00-Uhr-Verkehr vor der Panzerglasscheibe, registriere wie in den beiden Tagen zuvor schon die ernsthaften Gesichter, die in grau, schwarz und allemal ziemlich farblos gekleideten Budapester, das auffallend hohe Kfz-Modellniveau und die pausenlos jaulenden Sirenen der blaulichtflackernden Einsatzfahrzeuge. Viele Obdachlose, beschaedigte Strassen und Gehwege sowie millionen trister (weil unrenoviert und angefressen) Jugendstilwohnhaeuser, die in ihrem massenhaften, stumpfen Braungrau die Strassenzuege so blind und matt erscheinen lassen, als haette noch nie ein Sonnenstrahl diese Stadt erreicht.

Trotzdem, nicht der Rubel sondern der Forint (der 2007 in den Euro uebergehen wird) scheint zu rollen, der kapitalistische Kommerz hat laengst schon Fuss gefasst:
Geiz-ist-geil-Saturn hier, Heimwerker-Obi dort, ich-bin-doch-nicht-bloed MediaMarkt, dm, Kaiser’s, Salamander, Praktiker, Rossmann, alles da, und waeren diese Gluecksbringer westlicher Kommerzkultur nicht hier, dann waere diese Stadt ohne die bunten Firmenlogos und schreiende Leuchtreklame noch trister als nebelgrau …

Im nachhinein erfahre ich, woher der boom kommt: Investoren arbeiten hier die ersten 5 Jahre, ohne jegliche Steuerpflicht gegenueber dem Gastland. So macht man das, liebes Deutschland!

Zurueck im Hotel holt mich Laura ab zum shoppen in einer riesigen Mall, die nichts vermissen laesst. Aber wir stellen gemeinsam fest, wir haben alles und keine Wuensche mehr. Gemeinsam mit Luki begleiten wir seine (und „meine“) Laura zum Flughafen, wo Uschi hinzustoesst, die zufaelligerweise denselben Flug nach Stuttgart gebucht hat wie Laura.

3 Maenner winken ein letztes Mal durch den mannshohen Metalldetektor, und Bela faehrt uns mit seinem Daimler mit Esslinger Kennzeichen Richtung Parlament. Hier trennen wir uns von Bela, der sich noch 3 Wochen Heimwerkern auf dem Land und die Exekution des Maulwurfs verordnet hat .

Luki entfuehrt mich in eine interessante Fotoausstellung ueber digitale Fotografie sowie die Ausstellung der preisgekroenten Pressefotografien 2005. Nach einigem junk food freuen wir uns heute auf einen Riesensalat mit Wasser, den wir in der naechsten Bar dann auch genussvoll verdruecken. Gegen 19:00 trennen wir uns auf einer Metrostation, und meine platten Fuesse schleppen mich schlurfend ins Hotel.

Budapest 07.11.2005

Gestern bin ich nach einem 1,25 Stunden Flug in Budapest gelandet und auf dem airport von Luki & Laura freudig empfangen und abgeholt worden.

Nach U- und S-Bahnfahrten in ueberfuellten Waggons nehme ich mein „ibis-Hotel“- Zimmer in Besitz, verteile meine Utensilien wie ein Hund, der sein Revier markiert und mache mich mit meinen beiden lieben Fremdenfuehrern auf einen ersten Erkundungsausflug: das beste (und teuerste) Caffee am Platz, rauf zum Fischmarkt, runter in die Metro, rein ins nette Nebenstrassenrestaurant „Kleine Pfeife“ mit dem Kellner der alten Schule, weisses Hemd, schwarze Fliege.
Gulaschsuppe, Wurst vorweg, Pilsner Urquell sprudelt in meine trockene Kehle, ein Wildgulasch zum Hauptgang schliesst den Magen. Luki bestellt unbekannte Speisen und macht Bekanntschaft mit in Bierteig ausgebackenem Hirn, das ihn naechsten Morgen fast soweit bringt, sich – in der Metro darauf angesprochen – das Essen nochmals durch den Kopf gehen zu lassen …. Laura ist ganz gluecklich mit ihrem Wiener Schnitzel, das – ueber den Tellerrand lappend – ringsum mit der weissen Tischdecke Kontakt aufnimmt.

Ich schlepp mich ins Hotel und falle voll und fertig ins (hoffentlich) keimfreie Hotelbett.

Heute Morgen holen mich L&L gegen 10 ab, und wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Bela und Uschi warten auf ihrem Grundbesitz in „Tschenguel“ (so spricht man das aus) auf uns.

Nach anderthalb Stunden Fahrt in einem alten, schmierigen Zug schliesst uns Bela auf dem Provinzbahnhof ca. 100 km suedlich von Budapest in seine Arme. 10 Minuten spaeter tut Uschi auf dem Marko-Anwesen in the middle of nowhere dasselbe mit uns und reicht uns auf der Terrasse zwischen zahlreichen, schnurrenden Katzen einen ersten Schnaps. Es sollten noch einige folgen an diesem schoenen Tag …

Bela macht Einfuehrung, zeigt sein Geburtshaus, Anbau, Ausbau, Einbau, Vorbau, Trocken-, Tief- und Hochbau, unendliche Hektar von teilweise verpachtetem Grundbesitz und weiht uns in seine Plaene und Vorhaben ein, die zur Ausfuehrung wahrscheinlich weitere 4 bis 6 Generationen Lebenszeit beduerfen … Ich wuensche ihm so sehr von Herzen, dass er das alles eines Tages schafft!

Uschi kocht und bewirtet uns in der kleinen Kueche, in der – wie in den anderen Raeumen des kleinen Hauses, die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Man erkennt unschwer: Bela hortet die in Materie fixierte Vergangenheit – seine Vergangenheit, die ihn heute noch voll in Besitz zu nehmen scheint. Nix, aber auch gar nix wird weggeworfen, entruempelt, ausgesteuert. Alles hat seinen Platz (und davon ist bald nicht mehr viel uebrig!), jedes Teil seine besondere Bedeutung. Jede Scholle liebt er, die sein Vater und Grossvater noch mit Pferd und Pflug bearbeitet haben, jeden Baum, den er gepflanzt hat, jede Fliese, die er verklebt hat, jeden Stein, den er in der Hand gehabt hat. Nur eines hasst er wie die Pest: den Maulwurf, der in seinem Rasen grad eine ausserordentliche Haeufchen-Aktivitaet an den Tag legt ….

Nach ein paar leckeren Huehnerschenkeln an nicht minder leckerem Paprikasoesschen mit Nudeln sowie einigen Glaesern Stierblut (DER Lokalwein hier!) nimmt mich Bela mit in „die Stadt“. Er unterschreibt beim Notar einen Pachtvertrag fuer einen Teil seiner Laendereien, waehrend ich die Hauptstrasse hinunterschlendere – vergeblich auf der Such nach einem Zentrum.
High noon um 14:30 Uhr. Ein Amoklauf mit der Lumpara haette keinerlei Personenschaeden angerichtet! Alles sauber und einfach. Einzelne Haeuser in astern-bepflanzten Gaerten ruhend, keine Menschenseele – sieht man von den 3 kleinen Schulmaedchen einmal ab, die mir hinter vorgehaltener Hand kichernd ein paar scheue Blicke zuwerfen, waehrend sie auf ihren Bus warten, der nie zu kommen scheint, weil er den Ort vergessen hat …

Bela befreit mich nach einer halben Stunde von meiner Rolle als „Stranger of the Town“ und faehrt mit mir wieder zurueck auf seine Haszienda.

Die Sonne verkruemelt sich langsam, die Kaelte steigt auf, und wir sitzen gemeinsam wieder am kleinen Kuechentisch in der wohligen Waerme des prasselnden Holzofens. Bela tafelt auf: Brot, Butter Salami auf 3erlei Art und Stierblut. Ungarn scheint das Synonym fuer Essen und Trinken ohne Pause zu sein, denn grad zuvor hatten wir noch Kaeffchen und Kekschen zu uns genommen …

Wir plaudern ueber alte und neue Geschichten, Stoff genug ist da – bei 20 Jahren Freundschaft, die aus einer simplem Nachbarschaft in Kemnat sich einst entwickelt hat. Uschi & Bela, der inbegriff einer aufrichtigen, herzlichen und schnoerkellosen Freundschaft. Zwei Menschen, denen uneingeschraenktes Vertrauen geschenkt werden darf in einer Form, wie ich es wohl nie wieder erleben werde. Sie waren es, die die Geburt von Sabine und Christian miterlebt und gefeiert haben, als waeren sie die liebevollen und stolzen Grosseltern meiner Kinder in Persona. Ihre Liebe zu ihnen und all die gemeinsamen Erlebnisse leben noch heute ungebrochen fort, und man wuenscht sich, es wuerde ewig so sein – grad so, wie dieser Moment an diesem kleinen Tisch, in dieser kleinen Kueche, in diesem kleinen vertrauten Kreis jetzt und hier …

Bela erzaehlt eine dieser bereits so oft erzaehlten Bienchen- und Chrishy-Anekdoten, und ich schau zu ihm hinueber und verliere mich in seinem Gesicht, in den vielen Falten oberhalb seiner Lesebrille, die er laessig auf seine Nasenspitze rutschen laesst – gegen den finalen Absturz gesichert durch ein duennes Halsband – was ihm einen durchaus eindrucksvollen, intellektuellen Touch verleiht. Und ich entdecke dabei seine frohen, faltengerahmten Augen, die eigentlich nie aufhoeren, zu lachen. Sein Frohsinn, seine Friedfertigkeit, seine Zufriedenheit mit sich und der Welt sind ihm wahrhaftig ins Gesicht geschrieben, und trotz seiner knapp 70 Lenze scheint er ueberhaupt nicht gealtert zu sein, denn dieses mir so vertraute Gesicht kenne ich gar nicht anders – seit mehr als 20 Jahren.

Bald schon ist die Zeit zum Abschied gekommen. Bela bringt uns zum Bahnhof, fuer ein paar Euro erstehen wir unsere Fahrkarten an einem Schalter, der – samt Bahnhofsvorstehr – noch aus der K und K – Zeit stammt und besteigen um 18:00 puenktlich unseren Schmuddelzug mit freundlichem Schmuddel-Schaffner.

Verabredungsgemaess steht Uschi 1.800 Meter weiter in tiefschwarzer Nacht auf der Hinterseite der Villa Marko und leuchtet mit ihrer Taschenlampe mystische Zeichen herueber zum vorbeieilenden Zug. Linke Seite, erster Waggon – ich reisse die schmierige Scheibe des Schmuddelabteiles herunter, der Wind und die rabenschwarze Nacht schlagen mir ins Gesicht, ich rudere mit den Armen vor dem Hintergrund der faden Waggoninnenbeleuchtung und schreie „ciao, Uschi!“ hinaus ins Schwarze in Richtung der einzigen sich bewegenden Lichquelle – in der Hoffnung, dass Uschi meinen letzten Abschiedsgruss fuer heute hoert …