ERLkönig

ERLebnisse, ERLerntes, ERLesenes

Budapest 07.11.2005

Gestern bin ich nach einem 1,25 Stunden Flug in Budapest gelandet und auf dem airport von Luki & Laura freudig empfangen und abgeholt worden.

Nach U- und S-Bahnfahrten in ueberfuellten Waggons nehme ich mein „ibis-Hotel“- Zimmer in Besitz, verteile meine Utensilien wie ein Hund, der sein Revier markiert und mache mich mit meinen beiden lieben Fremdenfuehrern auf einen ersten Erkundungsausflug: das beste (und teuerste) Caffee am Platz, rauf zum Fischmarkt, runter in die Metro, rein ins nette Nebenstrassenrestaurant „Kleine Pfeife“ mit dem Kellner der alten Schule, weisses Hemd, schwarze Fliege.
Gulaschsuppe, Wurst vorweg, Pilsner Urquell sprudelt in meine trockene Kehle, ein Wildgulasch zum Hauptgang schliesst den Magen. Luki bestellt unbekannte Speisen und macht Bekanntschaft mit in Bierteig ausgebackenem Hirn, das ihn naechsten Morgen fast soweit bringt, sich – in der Metro darauf angesprochen – das Essen nochmals durch den Kopf gehen zu lassen …. Laura ist ganz gluecklich mit ihrem Wiener Schnitzel, das – ueber den Tellerrand lappend – ringsum mit der weissen Tischdecke Kontakt aufnimmt.

Ich schlepp mich ins Hotel und falle voll und fertig ins (hoffentlich) keimfreie Hotelbett.

Heute Morgen holen mich L&L gegen 10 ab, und wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Bela und Uschi warten auf ihrem Grundbesitz in „Tschenguel“ (so spricht man das aus) auf uns.

Nach anderthalb Stunden Fahrt in einem alten, schmierigen Zug schliesst uns Bela auf dem Provinzbahnhof ca. 100 km suedlich von Budapest in seine Arme. 10 Minuten spaeter tut Uschi auf dem Marko-Anwesen in the middle of nowhere dasselbe mit uns und reicht uns auf der Terrasse zwischen zahlreichen, schnurrenden Katzen einen ersten Schnaps. Es sollten noch einige folgen an diesem schoenen Tag …

Bela macht Einfuehrung, zeigt sein Geburtshaus, Anbau, Ausbau, Einbau, Vorbau, Trocken-, Tief- und Hochbau, unendliche Hektar von teilweise verpachtetem Grundbesitz und weiht uns in seine Plaene und Vorhaben ein, die zur Ausfuehrung wahrscheinlich weitere 4 bis 6 Generationen Lebenszeit beduerfen … Ich wuensche ihm so sehr von Herzen, dass er das alles eines Tages schafft!

Uschi kocht und bewirtet uns in der kleinen Kueche, in der – wie in den anderen Raeumen des kleinen Hauses, die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Man erkennt unschwer: Bela hortet die in Materie fixierte Vergangenheit – seine Vergangenheit, die ihn heute noch voll in Besitz zu nehmen scheint. Nix, aber auch gar nix wird weggeworfen, entruempelt, ausgesteuert. Alles hat seinen Platz (und davon ist bald nicht mehr viel uebrig!), jedes Teil seine besondere Bedeutung. Jede Scholle liebt er, die sein Vater und Grossvater noch mit Pferd und Pflug bearbeitet haben, jeden Baum, den er gepflanzt hat, jede Fliese, die er verklebt hat, jeden Stein, den er in der Hand gehabt hat. Nur eines hasst er wie die Pest: den Maulwurf, der in seinem Rasen grad eine ausserordentliche Haeufchen-Aktivitaet an den Tag legt ….

Nach ein paar leckeren Huehnerschenkeln an nicht minder leckerem Paprikasoesschen mit Nudeln sowie einigen Glaesern Stierblut (DER Lokalwein hier!) nimmt mich Bela mit in „die Stadt“. Er unterschreibt beim Notar einen Pachtvertrag fuer einen Teil seiner Laendereien, waehrend ich die Hauptstrasse hinunterschlendere – vergeblich auf der Such nach einem Zentrum.
High noon um 14:30 Uhr. Ein Amoklauf mit der Lumpara haette keinerlei Personenschaeden angerichtet! Alles sauber und einfach. Einzelne Haeuser in astern-bepflanzten Gaerten ruhend, keine Menschenseele – sieht man von den 3 kleinen Schulmaedchen einmal ab, die mir hinter vorgehaltener Hand kichernd ein paar scheue Blicke zuwerfen, waehrend sie auf ihren Bus warten, der nie zu kommen scheint, weil er den Ort vergessen hat …

Bela befreit mich nach einer halben Stunde von meiner Rolle als „Stranger of the Town“ und faehrt mit mir wieder zurueck auf seine Haszienda.

Die Sonne verkruemelt sich langsam, die Kaelte steigt auf, und wir sitzen gemeinsam wieder am kleinen Kuechentisch in der wohligen Waerme des prasselnden Holzofens. Bela tafelt auf: Brot, Butter Salami auf 3erlei Art und Stierblut. Ungarn scheint das Synonym fuer Essen und Trinken ohne Pause zu sein, denn grad zuvor hatten wir noch Kaeffchen und Kekschen zu uns genommen …

Wir plaudern ueber alte und neue Geschichten, Stoff genug ist da – bei 20 Jahren Freundschaft, die aus einer simplem Nachbarschaft in Kemnat sich einst entwickelt hat. Uschi & Bela, der inbegriff einer aufrichtigen, herzlichen und schnoerkellosen Freundschaft. Zwei Menschen, denen uneingeschraenktes Vertrauen geschenkt werden darf in einer Form, wie ich es wohl nie wieder erleben werde. Sie waren es, die die Geburt von Sabine und Christian miterlebt und gefeiert haben, als waeren sie die liebevollen und stolzen Grosseltern meiner Kinder in Persona. Ihre Liebe zu ihnen und all die gemeinsamen Erlebnisse leben noch heute ungebrochen fort, und man wuenscht sich, es wuerde ewig so sein – grad so, wie dieser Moment an diesem kleinen Tisch, in dieser kleinen Kueche, in diesem kleinen vertrauten Kreis jetzt und hier …

Bela erzaehlt eine dieser bereits so oft erzaehlten Bienchen- und Chrishy-Anekdoten, und ich schau zu ihm hinueber und verliere mich in seinem Gesicht, in den vielen Falten oberhalb seiner Lesebrille, die er laessig auf seine Nasenspitze rutschen laesst – gegen den finalen Absturz gesichert durch ein duennes Halsband – was ihm einen durchaus eindrucksvollen, intellektuellen Touch verleiht. Und ich entdecke dabei seine frohen, faltengerahmten Augen, die eigentlich nie aufhoeren, zu lachen. Sein Frohsinn, seine Friedfertigkeit, seine Zufriedenheit mit sich und der Welt sind ihm wahrhaftig ins Gesicht geschrieben, und trotz seiner knapp 70 Lenze scheint er ueberhaupt nicht gealtert zu sein, denn dieses mir so vertraute Gesicht kenne ich gar nicht anders – seit mehr als 20 Jahren.

Bald schon ist die Zeit zum Abschied gekommen. Bela bringt uns zum Bahnhof, fuer ein paar Euro erstehen wir unsere Fahrkarten an einem Schalter, der – samt Bahnhofsvorstehr – noch aus der K und K – Zeit stammt und besteigen um 18:00 puenktlich unseren Schmuddelzug mit freundlichem Schmuddel-Schaffner.

Verabredungsgemaess steht Uschi 1.800 Meter weiter in tiefschwarzer Nacht auf der Hinterseite der Villa Marko und leuchtet mit ihrer Taschenlampe mystische Zeichen herueber zum vorbeieilenden Zug. Linke Seite, erster Waggon – ich reisse die schmierige Scheibe des Schmuddelabteiles herunter, der Wind und die rabenschwarze Nacht schlagen mir ins Gesicht, ich rudere mit den Armen vor dem Hintergrund der faden Waggoninnenbeleuchtung und schreie „ciao, Uschi!“ hinaus ins Schwarze in Richtung der einzigen sich bewegenden Lichquelle – in der Hoffnung, dass Uschi meinen letzten Abschiedsgruss fuer heute hoert …

No comments yet»

Hinterlasse einen Kommentar